Bundesratswahlen: Gewählt sind Jacqueline Fehr und Johann Schneider-Ammann

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Legende: die Fraktionsstärken im eidgenössischen Parlament.

Seit ein paar Tagen kursieren in Bundesbern, Redaktionsstuben und TV-Arenen zum Teil abenteuerliche Szenarien. So ist zum Beispiel von einem Mitte-Rechts-Putschversuch die Rede. Konkret: Der Sprengkandidat der SVP, Jean-François Rime (NR, FR) soll der SP einen Sitz abjagen. Mit Verlaub, ein Jahr von den eidgenössischen Wahlen wird das bürgerlich dominierte Parlament der SP kein solches Geschenk machen. Den Sozialdemokraten wäre 2011 ein formidabler Wahlsieg gewiss.

Dass Rime den FDP-Sitz von Hans-Rudolf Merz erobern wird, scheint mir ebenso unwahrscheinlich. Selbst wenn er nebst seiner eigenen Fraktion (66 Stimmen) auch die CVP/evp/glp-Fraktion geschlossen für ihn stimmte, ergäbe das erst 118 Stimmen. Mir fehlt der Glaube an ein solches Szenario. CVP-Fraktionschef Urs Schwaller (SR, FR) machte mit für ihn atypisch markigen Worten klar, dass Rime nicht gewählt werde. Sukkurs von der SP und den Grünen wird er, wenn überhaupt, nur ganz bescheiden, erhalten.

Rime hat realistischerweise ein Stimmenpotential von75 bis 80 Stimmen. Damit schafft er es bei der Ausmarchung um den SP-Sitz in den dritten Wahlgang, beim FDP-Sitz in den vierten Wahlgang. Ins Endspiel – voraussichtlich ist das der fünfte Wahlgang – kommt Rime nur, wenn viel Dynamik entsteht.

In meinem letzten Posting stellte ich ein Modell vor, welches den Ausgang der Bundesratswahlen im Voraus „lesbar“ machen soll. Gemäss diesem Modell holt bei den ersten Ersatzwahlen Jacqueline Fehr (NR, ZH) am meisten Punkte. Soweit das Modell.

Die Transformierung von Punkten zu Stimmen hat mit dem Modell nichts zu tun. Weil aber der Wahlausgang weit mehr interessiert als mein Modell, führe ich auch auf, wie die verschiedenen Wahlgänge ablaufen können. Der detaillierte Ausgang wie ich ihn zu erkennen glaube:

Bemerkenswert ist bei dieser Prognose, dass im entscheidenden vierten Wahlgang 30 SVP-Parlamentarier leer einlegen werden – als Protest. Dabei wählte ich den Mittelwert zwischen kompletter Verweigerung und der Bereitschaft (fast) aller SVPler, bis zum Schluss von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Der Protest ist auch bei der zweiten Wahl um den Merz-Sitz denkbar – aus Enttäuschung, weil es Rime nicht schaffte.

Bei der zweiten Neubesetzung steht die SP-Fraktion in der Pflicht, die offiziellen FDP-Kandidierenden zu unterstützen. Das wird sie tun, wenn auch die grüne Sprengkandidatin Brigit Wyss (NR/SO) in den ersten beiden Wahlgängen noch Solidaritätsstimmen aus dem SP-Lager kriegt. Danach gehen diese SP-Stimmen anderswo hin. Wyss schafft es bis in den dritten Wahlgang.

Die Prognose:

Der Berner Nationalrat Johann Schneider-Ammann setzt sich also im fünften Wahlgang durch.

Bei meinem Modell vergab ich für alle 17 Kriterien, die eine Rolle spielen dürften, Punkte, und zwar wie folgt:

– Kategorie A: 10 Punkte
– Kategorie B:   7 Punkte
– Kategorie C:   4 Punkte
– Kategorie D:   1 Punkt

Dieses Modell hat selbstverständlich Schwachstellen, ein Versuch wars aber allemal wert. Kritik ist sehr willkommen – vor und hinter den Kulissen.

13 Comments on “Bundesratswahlen: Gewählt sind Jacqueline Fehr und Johann Schneider-Ammann”

  1. Titus

    @ Mark

    Im Modell und damit in der Einschätzung fehlen vermutlich noch zwei «temporäre» Faktoren (oder ich sehe sie nicht), um dieses Modell dauerhaft anwenden zu können:

    1) Die anstehenden Parlamentswahlen 2011:
    Wählte man besser A statt B, um eben keine Wahllokomotive zu generieren und die eigenen Wiederwahl-Chancen zu erhöhen.

    2) Der Bundesrats-Wahlgang davor/danach:
    Inwiefern spielen Gedanken über die Wahl danach bei der Wahl davor und umgekehrt eine Rolle.

  2. Alexander Müller

    Ich darf leider nicht abstimmen. Meine Favoriten sind, unabhängig von ihren Chancen gewählt zu werden, Sommaruga und Rime. Das sind meiner Meinung nach die besten Kandidaten.

  3. Maurus Zeier

    Eine heisse Prognose und ich möchte keinesfalls bestreiten, dass sie auch wirklich eintreffen könnte. Jedoch bezweifle ich eine Wahl von Jaqueline Fehr gegen die Kandidatur von Simonetta Sommaruga.

    Sommaruga rechne ich aus dem bürgerlichen Lager deutlich mehr Stimmen an und aufgrund der Tatsache, dass sie auch in den eigenen Reihen nicht deutlich weniger Stimmen als Fehr machen wird, setze ich auf Sommaruga.

    Wieso? In meinem Blog gibts die Antworten.

  4. Mark Balsiger

    @ Titus

    Ich finde, dass deine beiden zusätzlichen Kriterien durchaus Platz haben unter „strategische Entscheidungen“. Ob das Modell taugt, lässt sich vielleicht in etwa 12 Jahren beurteilen. Ob dieses Blog dereinst noch gibt?

    @ Alexander Müller & Maurus Zeier:

    Das Volk wie Sie und ich durften in den letzten Wochen schon einige Mal „mitwählen“. Mit klaren Ergebnissen. Dass sie am Mittwochmorgen keine Bedeutung haben, bestreite ich. Allerdings bedürfte es einer Präzisierung: Simonetta Sommaruga wurde bislang stets als potentielle Wahllokomotive für die SP bezeichnet, so sie Bundesrätin wird.

    Bei Lichte betrachtet war sie stets auf Distanz zur SP. Entsprechend würde sie dem Bundesrat als Gremium zweifellos zu einer Imagekorrektur verhelfen. Ob das ihrer Partei auch nützt, ist schwierig zu beurteilen.

  5. Pingback: die macht der langen formeln : stadtwanderer

  6. stadtwanderer

    die 17 kriterien sind klar, doch, so frage ich, wie legst du die kategorien resp. punkte fest. und wie gibt es aus punkten stimmen?

  7. Mark Balsiger

    @ stadtwanderer

    Pro Kriterium gab es Punkte, 9 für Kriterien in der Kategorie A, 1 Punkt für Kriterien in der Kadtegorie D. Nach den Additionen ergab sich eine Rangliste pro Sitz, der morgen zur Disposition steht.

    Die Vermengung mit den Stimmen, die ich vornahm, sorgt für Verwirrung. Sie hat nichts mit dem Modell zu tun. Das hätte ich klar deklarieren müssen, was ich nun nachhole. Eine Ergänzung im bestehenden Posting.

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  9. Reto Müller

    Wahrscheinlich wird deine Prognose eintreffen, auch wenn ich diese nur zu 50% – was meine eigenen Präferenzen betreffen – gutheissen mag.
    Ich danke dir für deine genaue und scharfe Analyse, erlaube mir aber noch hemdsärmlige Argumente einzubringen:
    Sommaruga ist im Volk zu beliebt und zu gut, als dass uns die Bürgerlichen eine solche Bundesrätin gönnen würden. Meine Meinung ist klar persönlich gefärbt. Dies möge man mir verzeihen.

  10. Mark Balsiger

    @ Reto Müller

    Zu Simonetta Sommarugas Popularität gibt es noch zwei weitere Perspektiven, die bis anhin kaum in den Medien diskutiert wurden:

    – Kann das Parlament sich überhaupt erlauben, die klar profilierteste SP-Kandidatin nicht zu wählen? Angesichts der Herausforderungen, die dieses Land noch vor sich hat und in Erinnerung an all die Pannen und gravierenden Probleme, die der Bundesrat in den letzten 7 Jahren hatte, ist die Antwort klar.

    – Sommaruga blieb bislang stets auf Distanz zu der SP, obwohl sie aufgrund ihrer Positionen und Überzeugungen eine klare Sozialdemokratin ist. Auf diese Weise konnte sie sich die absolute Unabhängigkeit bewahren.

    Als Bundesrätin würde sie – These – primär dem Bundesratsgremium zu einer besseren Performace und einem besseren Image verhelfen. Ob die SP bei den nächsten Wahlen im Herbst 2011 profitieren könnte, ist meines Erachtens offen.

  11. Mark Balsiger

    Das Stichwort Entspannung nehme ich auf. Eben machte ich einen Spaziergang im Bundeshausperimeter. Ein gschäftiges Hin und Her der Parlamentarier, der mediale Druck ist enorm.

    Eine kleine Episode, über Mittag beobachtet: Eine Videojournalistin befragt einen Mann im Anzug, den ich vorerst nicht erkenne. Also nähere ich mich auf wenige Meter. Ahh, Monsieur Rime. Ohne Begleittross, ohne Allüren.

    So etwas gibt es wirklich nur noch in der Schweiz – sympa.

  12. Mark Balsiger

    Der gestrige Abend war höchst kurzweilig. Ich zog zusammen mit einem glänzend aufgelegten Stadtwanderer, der sich in der Öffentlichkeit als Demoskop einen Namen gemacht hat, durch die Bars und Gassen.

    Gerade abseits der Massen und Scheinwerfer ergaben sich spannende Gespräche, die Parlamentarier waren berührbar, witzig und – offensichtlich – aufgekratzt. Bundesratswahlen sind für viele unter ihnen ein Highlight während ihrer politischen Karrieren.

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