Der Coup mit Otto Stich, der Coup von Bundesrat Otto Stich

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Heute vor genau 15 Jahren: Ein warmer Mittwoch im Spätsommer, der Tag war bislang unspektakulär verlaufen, alles deutete auf einen Nachmittag mit viel Routine hin. Ich hatte eben die Schicht am Nachrichtendesk übernommen. Da plötzlich schallt es durch das Grossraumbüro: „Otto Stich tritt zurück!“

Im legendären Sitzungszimmer 86 des Bundeshauses hatte Stich (sp) den Medienschaffenden eben kundgetan, dass er auf Ende Oktober aus der Landesregierung zurücktreten werde. Mit ein paar wenigen spröden Sätzen wie sie für ihn typisch sind. Wer sehr gut hinhörte, glaubte eine spitzbübische Freude in seiner Stimme zu erkennen.

Otto Stichs Wahl 1983 war ein Coup der bürgerlichen Parteien (allen voran FDP-Nationalrat Felix Auer), die ihn über Nacht zu ihrem Kandidaten gemacht hatten. Gegen die offizielle Kandidatin der SP, die Zürcher Nationalrätin Lilian Uchtenhagen. Sie gehörte zur alles und alle dominierenden“Viererbande“ der SP-Fraktion, zusammen mit Helmut Hubacher, Walter Renschler und Andreas Gerwig.

Otto Stichs Abgang 12 Jahre später war erneut ein Coup – sein eigener. Kaum war seine Demission publik, glich die Redaktion einem Bienenhaus. Fieberhaft begannen wir, die möglichen Papabili ausfindig zu machen. Es lag auf der Hand: Stichs Nachfolge würde ein Sozialdemokrat aus der deutschen Schweiz antreten, weil mit Ruth Dreifuss bereits eine SP-Frau aus der Romandie im Bundesrat sass.

Die Ledergerbers und Pillers, Martis und Leuenbergers wurden irgendwann, irgendwie aufgestöbert – Handys hatten sich damals noch nicht durchgesetzt. Das Schaulaufen der SP konnte beginnen. Es dauerte genau vier Wochen. Am 27. September 1995 setzte sich Moritz Leuenberger schliesslich im fünften Wahlgang durch, womit sich der Kreis ins Heute schliesst.

Bei den Nationalratswahlen 1995, erneut vier Wochen später, legte die SP 3,3 Prozent zu und wurde zur wählerstärksten Partei. Stich machte der SP mit seinem Rücktritt ein famoses Abschiedsgeschenk.

Der Wechsel Stich/Leuenberger markiert einen Wendepunkt: Seither sind

– die Rücktritte von Bundesräten oft taktisch motiviert
– die Nachfolgerituale von den Parteien inszeniert
– die Wahltage ein TV-Spektakel par excellence

Die Personalisierung und Emotionalilsierung der Politik lässt sich am Beispiel der Bundesratswahlen gut aufzeigen.

Foto Otto Stich: biovision.ch

7 Comments on “Der Coup mit Otto Stich, der Coup von Bundesrat Otto Stich”

  1. Alexander Müller

    Der damalige SP-Präsident Helmuth Hubacher schäumte vor Wut als an Stelle von Liliane Uchtenhagen Otto Stich gewählt wurde. Die SP-Parteileitung verlangte damals den Auszug aus dem Bundesrat! Wurde aber von der Partei zurückgepfiffen! Die SP trommelte im Februar 1984 einen Parteitag zusammen und liess abstimmen. Die Parteileitung unterlag, die SP blieb im Bundesrat.

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  4. Emanuel Wyler

    Schön geschrieben! Dass die Nachfolgerituale von der Partei inszeniert sind, finde ich eher nicht – da spielt zu viel persönliches, zu viel Eigendynamik mit. Was manchmal nach einer gelungen Inszenierung aussieht, ist auch eine Häufung von glücklichen Zufällen, bzw. wird im Nachhinein als gelunge Inszenierung bezeichnet…

  5. Mark Balsiger

    @ Alexander Müller

    Mein Langzeitgedächtnis bringt dasselbe Ereignis hervor. Die Sozialdemokratie war damals mächtig in Aufruhr.

    Dass sie den Gang in die Opposition bzw. den Austritt aus dem Bundesrat nicht vollzog, dürfte mit den Erfahrungen aus den Fünfzigerjahren zu tun haben. Damals war sie auch einmal ohne Vertretung im Bundesrat, von 1954 bis 1959 (nachdem ihr Bundesrat Max Weber nach einer Abstimmungsniederlage zurückgetreten war).

    Diese Phase (der fehlenden Gestaltungsmacht) prägte die SP offensichtlich so stark, dass sie unbedingt in die Landesregierung zurückkehren wollte.

  6. Mark Balsiger

    @ Emanuel Wyler

    Das Wort „Inszenierung“ ist bei uns primär negativ konnotiert. Ich finde es nicht verwerflich, wenn die Parteien ihr Spitzenpersonal ins Schaufenster stellen. So viel Aufmerksamkeit erlangen politische Akteure sonst kaum, also gilt es, sie zu nutzen.

    Bei den Präsentationen von Eva Herzog und Johann Schneider-Ammann sind diese Präsentationen gut gelungen, bei Jacqueline Fehr und Ruedi Noser nicht.

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