Das Aussehen beschleunigt die Karriere

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Eine schöne Bescherung: Wir wissen nun von einem Arzt für plastische Chirugie, wie gut die eidgenössischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier aussehen. Er hat alle 246 Gesichter vermessen und selbst die Haare kategorisiert. Das Ganze sei „wissenschaftlich untersucht“, hält „20 Minuten“ bereits im Obertitel fest. Die Lust auf eine Glosse konnte ich nur mit Mühe unterdrücken.

NATIONALRAT, NR, SP, SOZIALDEMOKRATISCHE PARTEI,

Die Studie bringt zu Tage, dass die Aargauer Ständerätin Pascale Bruderer (SP, Foto) bei den Politikerinnen obenaus schwingt. Sie ist also, um im Duktus der geneigten Medien zu bleiben, Miss Bundeshaus. Bei den Männern gewinnt Fathi Derder (FDP) aus der Waadt. Der Online-Artikel scheitert daran, dass er keine Unterscheidung zwischen „schön“, „attraktiv“ und „gut aussehend“ macht, die drei Wörter werden synonym verwendet. Eine vergleichbare Verwischung hat bei den Miss- und Mister-Schweiz-Wahlen Tradition.

Die Erhebung des Chirurgen ist im Netz leider nicht greifbar. Fassen wir deshalb kurz zusammen, was die Sozialwissenschaften im deutschsprachigen Raum zum selben Thema erforscht haben:

Das Aussehen kann eine politische Karriere beschleunigen. Zu diesem Schluss kommen Markus Klein und Ulrich Rosar von der Universität Köln, die mehrere Jahre lang Studien zum Thema machten. Probanden mussten jeweils Kandidierende, die sie nicht kannten, beurteilen. Es überrascht nicht, dass bei diesen Tests Kandidierende, die aus subjektiver Warte als gut aussehend taxierte wurden, besser abschnitten. Bei bekannten Spitzenpolitikern hat das Aussehen hingegen kaum mehr eine Bedeutung.

In der Schweiz wagte sich erst ein Politologe auf dasselbe Terrain: Georg Lutz von der Universität Lausanne. Er zeigte Versuchspersonen die Fotos von insgesamt 744 Politisierenden, die 2007 für den Nationalrat kandidierten. In seiner Untersuchung kommt Lutz zum Schluss, dass gut aussehende Kandidierende mehr Stimmen erhalten, was einen Teil ihres Wahlerfolgs erkläre. Diese Studie wurde verschiedentlich kritisiert, so etwa von Lutz‘ Berufskollege Claude Longchamp in einem Blog-Posting. (bal.)


Die Studien (Arbeitspapiere) als PDF zur Vertiefung:

Politische Wahlen als Schönheitskonkurrenz (2006, Klein & Rosar)

The electoral success of beauties and beast (2009, Lutz)

 

Foto Pascale Bruderer: keystone

One Comment on “Das Aussehen beschleunigt die Karriere”

  1. claude longchamp

    lieber mark

    kaum gelesen, habe ich den artikel in der boulevardpresse verschiedener meiner kollegInnen gezeigt. allgemein herrschte eine mischung aus ratlosigkeit und kopfschütteln. warum?
    wir alle wissen, dass wir mit den bildmedien mitten im “pictoral turn” leben. wo kein gesicht ist, ist nichts, könnte man heute meinen. und wo das gesicht dominiert, dominiert auch der vergleich von gesichern: die augen, der mund, das haar, die backenknochen, die ohren, der hals, das makeup, der schmuck, der ausdruck, das lächeln, der mundwinkel und die auffälligkeit des blicks. alles ist interessant, und alles kann uns etwas sagen.

    nur, was hat das mit politik zu tun? rein gar nichts, behaupte ich glatt.

    du hast für die schweiz die wichtigste untersuchung von erfolgversprechenden faktoren für den wahlerfolg geliefert. tausend mal umfassender als die von prof. lutz. und deine anker-, engagement- und verpackungsfaktoren sind doch viel interessanter, als die chirurgische vermessungskunst aus olten.

    auch die von mir zitiert studie zu amerikanischen präsidenten kommt zu einer ähnlichen hierarchie von wahlgründen wie du: die politische und die vorpolitische karriere sind massgebend, ebenso die familiären merkmals, die gesamte biografie und erst dann das diverse. daselbst ranigert attraktivität als diverses unter diversem.

    konkret: pascale bruderer hat sich mit 18 für die politik entschieden, und sie arbeitet seither systematisch an ihrer karriere als politikerin. sie hat erfolgreich ein hochschulstudium absolviert, hat auslanderfahrung gesammelt und ist eine gute netzwerkerin. sie ist mutter, und ganz vieles andere mehr. deshalb wurde sie zurecht aargauer ständerätin.

    eine gruppe von studentInnen in einem meiner seminare umschreibt das so: massgeblich ist bei majorzwahlen, wie stark die eigene partei als hausmacht ist; da das bei fast niemandem reicht, kommt hinzu, wer welche allianzen eingehen kann, mit anderen parteien oder mit anderen kandidatInnen. genau das ist bruderer 2007 nicht gelungen, 2011 schon. da war sie keine bisherige, nicht einmal die nachfolgerin einer bisherigen. also musste sie sich über medienpräsenz ins spiel bringen. das hat sie sehr gut gemacht, namentlich durch ihre herausragende arbeit als nationalratspräsidentin, wofür sie zur politikerin des jahres 2010 avancierte.

    dass sie gut aussieht, darf uns einen moment freuen, wenn wir ihr medienbild sehen, weniger nicht, aber auch mehr nicht. wer etwas anderes sagt, erzählt einfach humbuck.
    oder sucht aufmerksamkeit, um sein geschäft anzukurbeln. wissenschaftlich verbrämt.

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