Rot-Grün rennt kopflos an

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Im Kanton Bern hat sich Rot-Grün also auf eine Offensivstrategie geeinigt. SP und Grüne wollen bei den Gesamterneuerungswahlen für die Regierung, die im März 2018 stattfinden, wieder die Mehrheit erobern. Damit ein solches Ansinnen erfolgreich wird, bräuchte es die drei grossen „P“: Programm, Personal, Plan. Sichtbar werden sie allerdings kaum, das Vorpreschen wirkt kopflos. Meine kritische Einschätzung. 

Für einen Regierungswechsel, egal in welche Richtung, braucht es die drei grossen “P”: Programm, Personal, Plan. Ich skizziere sie kurz:

Programm:
Die Herausforderer müssen frühzeitig definieren, mit welchen Themen und Schwerpunkten sie die Wende erreichen wollen. Am Anfang der Analyse könnte eine Befragung der Bürgerinnen und Bürger stehen. Ist das Programm einmal erarbeitet, beginnt die Überzeugungsarbeit, zuerst in der eigenen Basis, dann beim breiten Publikum.

Personal:
Majorzwahlen sind Persönlichkeitswahlen, es geht um Köpfe. Frühzeitig die bekanntesten, profiliertesten oder glaubwürdigsten Mitglieder aufs Schild zu hieven, ist zentral. Die Auserkorenen müssen hungrig auf den Erfolg sein, alles in seinen Dienst stellen und angreifen. Ihre Positionsbezüge sind klar und verständlich, Provokationen gehören dazu, plumpe Angriffe hingegen nicht.

Plan:
Zentral ist eine kohärente Strategie, die frühzeitig entwickelt wurde. Die Schwachpunkte des Gegners – programmatisch und personell – hat man evaluiert und getestet. Mit diesem Fundament lässt sich hernach ein Wahlkampf der ruhigen Hand führen, das Programm der Herausforderer – das bessere! – muss die Masse erreichen und überzeugen.
So viel zur Theorie. Betrachten wir nun die drei grossen „P“ im Kontext mit dem Vorpreschen von SP und Grünen im Kanton Bern.

– Ein Programm wurde heute Morgen nicht vorgestellt. Wir dürfen davon ausgehen, dass noch keines vorhanden ist. Auf der Website findet man derzeit bloss eine knapp abgefasste Medienmitteilung, that’s it. Der Slogan „Aufbruch statt Abbruch“ hat zwar Potential, aber ohne konkrete Inhalte verpufft er im Nichts. Sie erst im Herbst oder während der Weihnachts zeit zu vermitteln wäre reichlich spät.

Der Kanton Bern steckt strukturell in einer ausgesprochen schwierigen Situation. Neue Ansätze, die weit über Pflästerlipolitik und Kritik am neuen Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg hinausgehen, wären zwingend.

– Das Personal, das die Wende zu Rot-Grün erreichen soll, steht nicht bereit. Bislang ist nur klar, dass Volkswirtschaftsdirektor Christoph Ammann (SP), vor einem Jahr gewählt, wieder kandidiert. Barbara Egger (SP) wird im nächsten Frühling zurücktreten; ihre potenzielle Nachfolgerin aber erst im Sommer nominiert. Gemeldet sich Nationalrätin Evi Allemann sowie die beiden Grossrätinnen Nicola von Greyerz (Bern) und Ursula Zybach (Spiez). Unklar ist, ob Bernhard Pulver (Grüne), der seit 2006 der Erziehungsdirektion vorsteht, nochmals kandidiert. Die stärkste Figur in der siebenköpfigen Regierung will sich im Sommer entscheiden. Hört Pulver auf, wird es für die Grünen eng. Nur wenn sie mit einer ihren beiden Nationalrätinnen Regula Rytz oder Christine Häsler antreten, haben sie gute Chancen, diesen Sitz zu verteidigen.

– Der Plan, die bürgerliche Mehrheit anzugreifen, steckt noch in einem frühen Stadium. Die Spitzen von SP und Grünen haben sich darauf verständigt, die Basen beiden Parteien werden diese Offensive in den nächsten Monaten abnicken. Klar ist: Wenn die Wende gelingen sollte, dann mit einem Kampfkandidaten aus dem Berner Jura. Rot-Grün zielt auf Schnegg. Das ist keine Überraschung und strategisch richtig. Bloss fehlt der SP im Berner Jura ein bekannter Kopf, der sich aufdrängen würde.

Die beiden linken Parteien schlagen mit ihrer Offensive den Mitteparteien EVP und GLP die Türe vor der Nase zu. Das ist ein Fehler, die EVP hätte in ein Rot-Grün-Mitte-Bündnis gepasst und wertvolle Stimmen geliefert (während die GLP kaum eingestiegen wäre).

Fazit: Die drei grossen “P” kann Rot-Grün in weiten Teilen nicht liefern. Ohne Programm und Personal zum Angriff zu blasen, ist kopflos. Dass die SP mit einem Wähleranteil von 20 Prozent drei Sitze anstrebt, ist schwierig zu vermitteln. Die Bürgerlichen sind hingegen in einer komfortablen Situation: Mit grossen Wahrscheinlichkeit werden drei der vier Bisherigen wieder antreten: Beatrice Simon (BDP, seit 2010 im Amt), Christoph Neuhaus (SVP, seit 2008) und Pierre Alain Schnegg (SVP, seit 2016). Einzig Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP, seit 2006) hört auf und muss ersetzt werden. Die Statistik belegt, dass 92 Prozent aller bisherigen Regierungsräte in der Schweiz wieder gewählt werden.

Sind die Spitzen von BDP, FDP und SVP clever, ziehen sie mit einem Quartett in den Wahlkampf – den drei Bisherigen und einem neuen Freisinnigen. Damit sichern sie sich am 25. März 2018 ohne Angstschweiss vier Sitze, zumal der Kanton Bern eine strukturelle bürgerlich wählende Mehrheit hat.

Vereinzelte Bürgerliche dürften jetzt Morgenluft wittern und versucht sein, ebenso auf eine Offensivstrategie hinzuwirken, will heissen: Fünf Kandidaturen. Das könnte ins Auge gehen. Erinnert sei an die Gesamterneuerungswahlen 2006, als SVP und FDP mit sechs Kandidaturen (4 SVP, 2 FDP) antraten, vom Wahlvolk für ihre Arroganz aber abgestraft wurden und die Mehrheit an Rot-Grün verloren. Der SVP-Präsident Hermann Weyeneth, eine begabte Spielernatur, hatte sich für einmal kräftig verzockt.

Ergänzung vom 8. April:

Die „Berner Zeitung“ kommt zu einem anderen Schluss als ich: Sie kritisiert das mutlose Vorgehen. Im Berner Jura habe die SP nichts zu verlieren und könne dort aus dem sicheren Schützengraben heraus SVP-Mann Pierre Alain Schnegg angreifen. „Wer so ängstlich taktiert, kann es nicht richtig ernst meinen mit der Rückeroberung der rot-grünen Mehrheit.“ Der Kommentar:

Mutloser Alibi-Angriff (BZ, Philippe Müller)

3 Comments on “Rot-Grün rennt kopflos an”

  1. Christine Gerber

    Lieber Herr Balsiger

    Das ist sehr gut analysiert. Noch besser geht es nicht. Für mich sind Sie zu Recht einer der besten Politologen, den die Schweiz hat. Treffender kann man es nicht mehr sagen!

  2. Mark Balsiger

    Danke für die Blumen, liebe Frau Gerber. Ich nehme sie an einem derart prächtigen Frühlingstag gerne.

    Die „Berner Zeitung“ hat eine andere These als ich. Ihren Kommentar verlinkte ich am Ende des Blog-Postings.

  3. Mark Balsiger

    Vier Monate sind verstrichen, seit die SP angekündigt hat, eine Kampfkandidatur im Berner Jura zu bringen. Jetzt präsentiert sie den Namen: Christophe Gagnebin. Der Lehrer und ehemalige Grossrat soll SVP-Regierungsrat Pierre Alain Schnegg herausfordern – beim Kampf um den garantierten Jura-Sitz. Was die „Berner Zeitung“ am 9. August 2017 berichtete:

    http://bit.ly/2vOaZo9

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