Die SP krankt auch in der Krise

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christian_levrat1_blick_ch

Kantonale Wahlen eignen sich vorzügig, um die Temperatur der Bevölkerung und der Parteien zu messen. Nach den Parlamentswahlen in den Kantonen Aargau und Solothurn von Anfang März kann man konstatieren: die SP hat nicht nur Fieber, sie ist sogar ernsthaft krank.

Genauso wie die Konjunktur ein Auf und Ab zeigt, steigt und sinkt die Wählerstärke der SP auf nationaler Ebene. In den letzten 40 Jahren schwankte sie zwischen 19,0 und 24,9 Prozent.

Die massiven Verluste der SP im Aargau (- 4,2% bzw. minus 8 Sitze) und im Kanton Solothurn (- 4,2% bzw. minus 4 Sitze) reihen sich ein in eine Serie von Niederlagen, die bereits 2004 ihren Anfang nahm. In der Mehrzahl der Kantone hat die SP seither verloren, ein klarer Trend ist aber trotzdem noch nicht zu erkennen. Bei den Nationalratswahlen 2007 verlor sie 3,8 Prozent, für Schweizer Verhältnisse ist das ein Erdrutsch.

Mitten in der Wirtschaftskrise taumelt auch die SP. Gerade angesichts der Wirtschaftslage, die die soziale Frage und die Arbeitsplatzsicherheit in den Vordergrund rücken, sind die jüngsten Wahlresultate eine dicke Überraschung.

Woran krankt die SP? Ich mache fünf Gründe aus:
1. Mobilisierung
2. Potpourri an Themen
3. Dogmatische Positionen
4. Bundesratsmitglieder
5. Konkurrenz durch Grünliberale

Das Problem der Mobilisierung (1) hat die SP schon seit vielen Jahren, und das ist der einzige Punkt in meiner Auflistung, der sich hart nachweisen lässt. Die Sozialdemokraten bringen viele Parteigänger und -sympathisanten nicht an die Urnen. Im Gegensatz zur SVP, die ihr Potential teilweise bis zu 95 Prozent ausschöpft.

Die Partei schafft es nicht, sich über Jahre hinweg auf ein paar wenige Themen zu konzentrieren (2). Sie tritt mit dem Anspruch an, fast überall kompetent zu sein, und ist das womöglich auch. Allein: die Ökonomie der Aufmerksamkeit ist knallhart. Entsprechend bleibt beim breiten Publikum, das sich nur am Rande für Politik interessiert, wenig hängen. Oder die Themen kommen an wie ein Potpourri.

Herr und Frau Schweizer sind nüchtern und pragmatisch. Die Abkehr vom jahrzehntelang als „unverhandelbar“ bezeichneten Bankgeheimnis, die sich binnen weniger als zwei Wochen durchsetzte, zeigt das exemplarisch. Gleichzeitig hat die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ein Problem mit dogmatischen Überzeugungen (3), die mitunter giftig oder arrogant artikuliert werden. Vereinzelte SP-Mitglieder müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, auf einem Auge blind zu sein. Bei den anderen Parteien zeigt sich eine ähnliche Problematik, allerdings scheint es, dass man ihnen gegenüber toleranter ist.

Heutzutage werden Parteien vor allem durch ihre Mitglieder im Bundesrat wahrgenommen (4). Das liegt vor allem am Mediensystem, das radikal personalisiert. Die Bundesräte machen in diesem Spiel allerdings aktiv mit und versuchen sich mit grossen Auftritten und Reisen ins Ausland zu profilieren.

Die SP hat den Malus, dass ihre beiden Mitglieder in der Landesregierung den Zenit überschritten haben. Moritz Leuenberger wurde 1995 gewählt, damals noch keine 50 Jahre alt. Er marschierte als 68er durch die Institutionen bis ganz nach oben, und war in seinen ersten Bundesratsjahren für die Linke ein Hoffnungsträger. Bei den eidgenössischen Wahlen 1999 lieh Leuenberger sein Konterfei sogar für eine Plakatkampagne der SP.

Seit geraumer Zeit ist Leuenberger aber zur Belastung für die eigene Partei geworden. Und auch bei Micheline Calmy-Rey ist inzwischen der Lack ab. In den ersten Jahren war sie jeweils das populärste Mitglied im Bundesrat. Das hat sich nach ihren regelmässigen Provokationen und Tritten in den Fettnapf geändert.

Schliesslich kriegte die SP im urbanen Raum eine neue Konkurrenz: die Grünliberalen (5). In den Städten und Agglomerationen gibt es eine gut gebildete Bevölkerungsschicht, die ökologisch denkt und handelt, mit der Rhetorik und den Themen der SP aber nur beschränkt etwas anfangen kann. Diese Schicht scheint mit den Grünliberalen eine (neue) Heimat gefunden zu haben.

Die SP krankt also auch in der Krise. Christian Levrat, seit einem Jahr Parteipräsident der SP Schweiz, hat alle Hände voll zu tun. Bei seiner Einschätzung zu den elektoralen Schlappen in den Kantonen Aargau und Solothurn nannte er zwei Gründe:

1. die Mobilisierung
2. die fehlende Zuspitzung

Mit Verlaub, Levrat ist ein Meister der Zuspitzung. Er politisiert mit List und Lust, ist ein ausgebuffter Campaigner, und er tanzt seinen Gegenspielern regelmässig auf der Nase herum. Ein fähiger Mann, beim eigenen Parteivolk beliebt, bloss: reicht das, um wieder Wahlen zu gewinnen?

Foto Christian Levrat: blick.ch

9 Comments on “Die SP krankt auch in der Krise”

  1. David

    Sehr schöne und einleuchtende Analyse. Ich finde, bei Punkt 2 gehört dazu, dass die Partei keine Vision von der Schweiz in 20, 30 Jahren hat, keine längerfristige Ziele formuliert bzw. kommuniziert. Die SP müsste auch ein Wegweiser sein. Dann würde sich auch das Potpurriproblem lösen.

  2. Hardy Jäggi

    Im Grossen und Ganzen kann ich Deiner Analyse zustimmen. Die mangelnde Mobilisierung hängt nicht nur mit Punkt 2 (mangelnde Themenkonzentration) zusammen, sondern auch mit einer mangelnden Zielgruppenstrategie.

    Die SP sieht sich noch immer als die Partei der Büezer und Gewerkschafter. Sie hat dabei übersehen, dass 70% der Gewerkschafter Ausländer sind und dass mindestens 70% der Büezer schon längst SVP wählen.

    Die SP setzt deshalb falsche Schwerpunkte und politisiert an den eigentlichen Wählern (gut gebildete Mittelschicht, mittleres Kader, Beamte) vorbei.

    Ich gebe Dir auch recht, dass sich die SP auf weniger Themen konzentrieren, diese dafür umso prägnanter vertreten sollte. Die SVP darf hier ruhig als Vorbild dienen. Durch ihre Ausländerpolitik ist die SVP zu dem geworden was sie heute ist.

    Und dann ist da noch etwas das mich schon immer gestört hat: Dieser unsägliche uralte Zopf von den „lieben Genossen/innen“. Die SP sollte endlich damit aufhören. In der Schweiz gibt und gab es nur eine Art von Genossen – die Eidgenossen. Alle anderen gehörten in die Sowjetunion.

    Mit Christian Levrat hat die SP zwar einen guten Präsidenten. Aber jetzt muss die Partei unbedingt ihre heiligen Kühe schlachten und sich auf ihre wahren Zielgruppen konzentrieren. Dann werden die auch wieder wählen gehen.

    Ich bin in der SP, weil sie für mich am glaubhaftesten für eine gerechte Gesellschaft steht, die zu ihren schwächeren Mitgliedern schaut. Aber ich will auch eine sichere Gesellschaft, die hart mit denen umspringt, die sich nicht an die Regeln halten oder anderen Schaden zufügen. Nur weil jemand „Migrationshintergrund“ hat, soll und darf er nicht mit Samthandschuhen angefasst werden.

    Die SP hat zu lange eine Weichspülerpolitik betrieben. Mit dem Sicherheitspapier war sie auf dem richtigen Weg, ist ihn aber leider nicht konsequent weiter gegangen. Schade, so bleibt dieses Feld weiterhin der SVP überlassen.

    Liebe SP, überlass die Umwelt den Grünen – die wirken einfach glaubhafter – und kämpfe für eine sichere soziale Gesellschaft.

  3. Lupe

    nur schon der aktuelle sp-slogan „klar sozial“ ist völlig falsch gewählt. es trifft zwar zu, damit bringt man aber keine wähler hinter dem ofen hervor und er suggeriert nur, was jeder eh schon denkt: typisch sozis. der begriff ist zudem in verschiedenen wortkombinationen negativ belastet: sozialschmarotzer, sozialkosten, …

    mein gratistipp für einen wirksameren slogen, der nicht negativ belastet ist: „gerechtigkeit“
    ob man den dann noch in kombination mit „für“ oder so bringt, müsste man dann noch prüfen.

  4. David

    Wie wärs mit «Volle Kraft voraus!» oder «Jeder verdient eine faire Chance»?

    «Sozial» aber generell zu meiden, kann sich keine Lösung sein. Dann hätte die SVP gewonnen.

    Der Nicht-Slogan ist aber Ausdruck der Visionslosigkeit und der Potpurri-Politik.

    @Hardy Jäggi: Die Interessen von Ausländern nicht mehr zu vertreten, nur weil sie nicht wählen können, halte ich ebenfalls für höchst unglaubwürdig. Dass die SP mit dem Sicherheitspapier nicht einfach den Weg des geringsten Widerstands gegangen ist, finde ich hingegen gut.

  5. Titus Sprenger

    Die Wählerinnen und Wähler sind einfach gestrickt. Ich glaube deshalb nicht, dass diese sich von einem Slogan überzeugen lassen. Vielmehr bin ich der Ansicht, dass sich nach wie vor die meisten Wählerinnen und Wähler am Namen orientieren, ganz im Sinne von „der Name ist Programm.“ Da wirkt sich dann in etwa so aus:

    1) Wir haben gut ausgebaute Sozialwerke, also kein Grund, eine Partei zu wählen, die „sozial“ in ihrem Namen trägt.

    2) Die Zahl der Kirchenaustritte nimmt weiter zu. Christliche Werte sind nicht mehr gefragt, also kein Grund, eine C-Partei zu wählen.

    3) Freisinnig/liberal: Der Wirtschaft ging’s bislang eigentlich ganz gut, jetzt nicht mehr. Das haben sie sich selbst eingebrockt, meint der Pöbel, also kein Grund, eine freisinnig-liberale Partei zu wählen.

    4) Grün: Wir haben ein Umweltproblem, das gelöst werden muss. Dieses verdanken wir den bisherigen „alten“ Parteien (denkte der Pöbel) und kann am besten von den (unbelasteten) Grün-Parteien gelöst werden.

    Man könnte den Spiess auch umdrehen: Den Grünen, als Beispiel, ordnet die Wählerschaft kaum eine hohe Kompetenz in Wirtschaftsfragen zu. Ginge es um soziale Fragen, dann sieht man darin auch nicht die Kompetenz bei der FDP/Die Liberalen.

    Weiter zugespitzt: Gäbe es eine „Sozialhilfemissbrauch-Partei“, fände sie bestimmt auch ihre WählerInnen. Und eine „Anti-AKW-Partei“ würde den Grünen den Rang ablaufen.

    Wie schon gesagt, ich will damit nur verdeutlichen, dass in den Köpfen von Herrn und Frau Schweizer sehr einfache Assoziationen ablaufen, wenn sie „sozial“ oder „liberal“ oder „grün“ hören.

    Die „alten“ Parteien täten deshalb vielleicht gut daran, einmal über ihre schon längst überholten Namen nachzudenken…

  6. teoma

    Gott sei dank sind die SP in einer Krise.
    Je länger die keine Chance haben, desto besser für die Menschen.

    Denn alle Sozialdemokratischen Parteien in Europa stehen nur für:

    -Zerstörung der Familien
    -Meinungsdiktatur (in Form von Mainstreaming)

    Alles Dinge auf die jedes Land der Welt gut verzichten kann.

  7. Lupe, der Satire-Blog

    @teoma

    uii, das ist aber eine fundierte anal-yse!? da begreife ich, dass du anonym geschrieben hast.

    welche parteien sind jetzt auch für familienzulagen oder für steuererleichterungen für familien mit kindern?

  8. Hardy

    @teoma

    Über solch dumme Stammtischsprüche kann man nur den Kopf schütteln.

  9. Mark Balsiger

    @ teoma

    Mainstream und Meinungsdiktatur – wie passt das zusammen? Ich harre gespannt Ihren weiteren Erläuterungen.

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