Die «Republik» ist ein Dessert

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Die ersten Monate habe ich über die «Republik» oft leise geflucht: Bei jedem Aufrufen der Website wurde  erneut ein Verifizieren verlangt – nervtötend! Inzwischen ist diese Hürde weg. Doch wurde ich warm mit dem neuen Online-Magazin, das die Crew und ihre Fans hypten wie Groupies? Die «Medienwoche» hat ein paar Leute gebeten, eine Einschätzung zu elf Monaten «Republik» vorzunehmen. Hier ist meine.

Die «Republik» pflegt die Sprache, was sie von den meisten anderen Medien unterscheidet. Vorbildlich ist, wie viele Autorinnen und Autoren die Kommentare zu ihren Texten moderieren. Das braucht Zeit, zahlt sich aber aus, weil andere Perspektiven einfliessen und die Leserschaft sich ernst genommen fühlt.

Grossartig war das Porträt über den Bürgermeister von Palermo. (Wenn der Link nicht funktionieren sollte, gibt es am Ende dieses Textes das PDF dazu.) Solche Stoffe schmecken wie ein liebevoll zubereitetes Tiramisù. Daneben gibt es aber viele episch lange und zuweilen trockene Artikel. Bei einem über Algorithmen, Big Data & Co. bin ich eingeschlafen.

Dass der Zürcher Regierungsrat Mario Fehr (SP) wegen einer harmlosen Bierdusche aus dem linken Milieu eine Untersuchung anordnete, ist lächerlich. Die «Republik» braute daraus eine Story mit 20‘000 Zeichen. Fehr sei eine Nervensäge, kritisieren viele. Aber darum ging es nicht: Ein Jahr vor den Wahlen wollten ihn die beiden Autoren demütigen. Wegen einer offenen Rechnung? Weil er in ihren Augen kein richtiger Sozialdemokrat ist?

Lange vor dem Start hat die «Republik» hektoliterweise Pathos versprüht und sich Bestnoten in Marketing geholt. Die grossen Erwartungen kann sie allerdings nicht einlösen: Für Innenpolitik aus linker Perspektive bin ich bei Loser und Lenz, den beiden brillanten «Tagianer», besser bedient. Wenn ich Einschätzungen über die Medienbranche brauche, liefern Stadler (NZZ), «Medienwoche» und WOZ zuverlässig. Für die Auslandberichterstattung sind die NZZ und die beiden SRF-Hintergrundsendungen «Echo der Zeit» und «International» weiterhin der Benchmark.

Die «Republik» ist wie das «Magazin» – ein Dessert. Es geht auch ohne.

Trotz einer durchzogenen Bilanz bleibe ich Abonnent. Aus drei Gründen: Im Gegensatz zum «Magazin» hat die «Republik» ihre Seele nicht verkauft. Zweitens glaube ich daran, dass sie besser und aktueller wird. Drittens muss dieses Projekt reüssieren, damit es auch weitere Medien-Start-ups wagen. Wenn das alte Mediensystem kollabiert, brauchen wir Alternativen.

Das Porträt aus der «Republik» vom 26. Oktober 2018:

Der Idiot von Palermo (PDF)

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