Bierdeckel und Blogs

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Am Kornhausplatz steht er plötzlich vor mir. Grossgewachsen. Edles Tuch. Dunkle Augenringe.

„Den habe ich doch schon einmal gesehen“, schiesst es mir durch den Kopf. Genau, auf einem Plakat. Pierre Triponez, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes und FDP-Nationalrat, drückt mir etwas Flaches und gleichzeitig Rundes in die Hand. Lächelt. Und dann gibt’s noch ein Schöggeli dazu. „Nicht schon wieder Schokolade“, denke ich, sagte „merssi vöumou“ – und weg bin ich.

Auf dem Bundesplatz hat sich weitere freisinnige Prominenz versammelt. Und alle halten Bierdeckel in den Händen. „Weniger ist mehr“ prangt darauf. Die FDP wirbt damit für ihre „Easy Swiss Tax“. Auf der Rückseite das Muster einer Steuererklärung:

Einkommen abzüglich Kinderabzug und Berufsabzug gleich steuerbares Einkommen. Et voilà, so einfach liest sich das.

Die FDP setzt mit diesem „Give away“ um, was sie seit Monaten propagiert: Das Steuersystem wird radikal vereinfacht, die Steuererklärung hat auf einem Bierdeckel Platz.

Gut gemacht. Und gut inszeniert: Eine Crew des Schweizer Fernsehens ist da, ein Keystone-Fotograf und andere. Der Vater des „Flat Tax“, der Zürcher Kantonsrat Hans-Peter Portmann, hat angeblich den Reporter von Radio24 gleich selber nach Bern chauffiert.

Draussen wir gebierdeckelt, drinnen gebloggt. Die SP hat den ersten Live-Blog lanciert. Direkt aus dem Bundeshaus. Und in der Tat: Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier hauen munter in die Tasten und berichten von ihren Einsichten zur Steuerdebatte, die läuft. Ab und zu getraut sich auch ein Normalsterblicher, eine Frage oder einen Kommentar einzubringen.

Die Steuerdebatte ist ein Scheingefecht, die Positionen sind längst bezogen. Es geht darum, wer am Abend in der „Tagesschau“ aufscheint. Kurze, knackige Statements sind gefragt. Solche, die isoliert Sinn machen. Wer versucht sich wohl mit dem Dreh „Bierdeckel = Bieridee“?

 
Mark Balsiger

2 Comments on “Bierdeckel und Blogs”

  1. Reto Müller

    aber du hast ihnen schon gesagt, was du auch im buch schreibst, dass strassenaktionen nix bringen. oder hab ich da was verwechselt?

  2. Mark Balsiger

    Ich habe, lieber Reto, die Aktion heute Morgen nur beobachtet, nicht eingefädelt. Der Strassenwahlkampf bringt grundsätzlich nichts, es sei denn, und so steht es auch in unserem Buch, die Medien berichten darüber.

    Das war bei der „Easy Swiss Tax“ offensichtlich der Fall, siehe u.a. das heutige „.ch“. Die Aktion hat sich also für die FDP gelohnt, auch wenn der Vorschlag im Nationalrat flach herausgekommen ist.

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