Bern wählt Blöcke statt Köpfe

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Die Konstellation ist ideal: Morgen wird auf dem umgebauten Bahnhofplatz in Bern ein rauschendes Fest gegeben – Zeit für eine „Gefechtspause“. Tags darauf sind die Protagonisten der Parteien wieder in ihren ideologischen Schützengräben und kommentieren den Ausgang der „Bärenparking“-Initiative mit markigen Worten. Das gehört zum politischen Spiel.

In Bern über kein anderes Politikfeld so engagiert, ja verbissen gekämpft wie die Verkehrpolitik. Die Parolen zur Initiative spiegeln die klare Trennung: hier die Bürgerlichen, dort die Parteien von Rot-Grün-Mitte (RGM). Die Abstimmung vom Sonntag ist ein Formtest für die beiden grossen politischen Blöcke, schliesslich finden in genau sechs Monaten die Gemeinderatswahlen statt. Am 30. November wollen die bürgerlichen Strategen die rot-grüne Mehrheit in der Stadtregierung stürzen.

Wie in allen anderen grossen Schweizer Städten verfügt Rot-Grün in Bern über eine strukturelle Mehrheit. In den letzten zehn Jahren haben die rot-grünen Parteien bei kommunalen, kantonalen und nationalen Wahlen stets mehr als 50 Prozent errungen. Die bürgerlichen Parteien SVP, FDP und CVP wiederum holten jeweils zwischen 30 und 40 Prozent. Dass bei den Nationalratswahlen vom letzten Herbst die Mehrheitsverhältnisse in der Stadt Bern kippten, war eine Zeitungsente. Trotz massiven Verlusten der SP holte Rot-Grün nämlich 54,1 Prozent, die Bürgerlichen kamen auf 38,8 Prozent. So weit die nüchternen Zahlen.

Für die Wende in Bern braucht es erstens eine gemeinsame Liste. Diese steht nach monatelangem Hin und Her, einigen Zwischenrufen in der Lokalpresse und mehreren Parteiaustritten prominenter FDP-Mitglieder. Zweitens muss der bürgerliche „Dreier“ mehr Stimmen als der rot-grünen „Vierer“ erhalten. Dieses Ziel sollten wir unter Einbezug des Wahlsystems betrachten: Bei den Gemeinderatswahlen gilt das Proporzwahlsystem. Dabei stehen nicht Personen im Vordergrund, sondern Parteien, und das beeinflusst die Positionierung der Kandidierenden wie das politische Klima. Mit anderen Worten: der Proporz verschärft die Polarisierung. Ausdruck ebendieser Polarisierung ist das Wahlverhalten: Bern wählt Blöcke statt Köpfe. Wer panaschiert, schwächt die eigene Liste. Vor vier Jahren wurden 80 Prozent aller Stimmen auf den eigenen Listen erzielt.

Beide grossen Blöcke plagen Sorgen: Edith Olibeth und Alexander Tschäppät standen mehrmals in der Kritik der Öffentlichkeit. Zudem fand RGM erst nach langem Suchen einen vierten Kandidaten. Der 26-jährige Daniel Klauser ist weitgehend unbekannt. Er dürfte das brachliegende Wählerspektrum in der Mitte kaum erweitern, so wie das im Jahr 2004 dem Bernburger und GFL-Kandidaten Alec von Graffenried gelungen ist. Die Bürgerlichen wiederum haben Mühe, homogen aufzutreten. Bei der FDP ist der sozial-liberale Flügel in den letzten Jahren immer schwächer geworden, zudem kämpft sie mit einer Hypothek: dem verstossenen Stephan Hügli. Beat Schori (svp) hat ein anderes Problem: Selbst Parteikollegen sind nicht sicher, ob er als Gemeinderat in der richtigen Funktion wäre.

Die beiden traditionellen Blöcke fokussieren im Wahlkampf auf ihre Stammklientel. Die RGM-Liste positioniert sich klar links der Mitte, der „Dreier“ fährt einen strammen bürgerlichen Kurs mit den Themen Wirtschaft, Sicherheit und Sauberkeit. Zwischen den beiden Blöcken klafft eine grosse Lücke. Möglicherweise wittern zwei eben gegründete Parteien Morgenluft: Einerseits die Grünliberalen, andererseits das Forum „die Mitte“, zu dem bekannte ehemalige Freisinnige gehören. Wenn beide Neuparteien eine valable Gemeinderatskandidatur aufbauen und Märtyrer Stephan Hügli mit auf die gemeinsame Liste geht, wird es spannend. Das Potential der politischen Mitte beträgt mindestens 20 Prozent.

Dieser Text wurde als „Tribüne“ in der Berner Tageszeitung
„Der Bund“ vom 30. Mai 2008 veröffentlicht.

3 Comments on “Bern wählt Blöcke statt Köpfe”

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